Mindestpreisbindung für Schlachttiere – Vorschlag aus Baden-Württemberg
VDF, 12.02.2021 - Nach Vorstellung der Landesregierung Baden-Württembergs sollen künftig anerkannte Vereinigungen von Erzeugerorganisationen für Schlachttiere die Ermächtigung erhalten, Mindestabgabepreise für Schlachttiere verbindlich festzulegen. Die den Erzeugerorganisationen angeschlossenen Tierhalter dürfen ihre Schlachttiere dann nicht unterhalb des Mindestpreises abgeben. Im Kern zielt der Vorschlag darauf ab, erhöhte Erlöse für Tierhaltungsbetriebe zu bewirken, die in Investitionen zur Verbesserung des Tierwohls fließen sollen und gleichzeitig ein angemessenes Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe gewährleisten. D.h. der Preis für Schlachttiere soll über das sich normalerweise am Markt ergebende Niveau angehoben werden.Dazu hat die Landesregierung mit Datum vom 03.02.2021 einen Gesetzgebungsentwurf in den Bundesrat eingebracht, der dort heute erstmalig beraten werden soll. Der Entwurf sieht vor, eine Ermächtigung für Vereinigungen von Erzeugergemeinschaften zur Mindestpreisfestsetzung pro kg Schlachtgewicht in das Fleischgesetz einzufügen und hierfür im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen eine entsprechende Ausnahme aufzunehmen.
Der Vorschlag geht von der Annahme aus, dass sich pro Tierart oder Tierkategorie (Schwein, Bulle, Kalb etc.) idealerweise eine einzige Vereinigung sämtlicher Erzeugergemeinschaften herausbilden wird, der die weit überwiegende Mehrheit der landwirtschaftlichen Tierhalter (z.B. Schweinemäster) angeschlossen ist. Diese Vereinigung setzt dann zentral den Mindestabgabepreis für die Tierart - orientiert an den Produktionskosten - fest. Damit dürfte anschließend kein Tierhalter seine Tiere unter dem Mindestpreis an einen Schlachtbetrieb verkaufen. Es sei denn, er gehört keiner Erzeugergemeinschaft an oder er tritt aus der Erzeugergemeinschaft aus.
Mit dem erhöhten Erlös sollen die Tierhalter dann in Tierwohlmaßnahmen investieren. Dazu heißt es in dem Entwurf: „Die Fleischpreisbindung hat durch die damit zwingend verbundene Ausrichtung an Verbrauchererwartungen nachhaltige Auswirkungen auf das Tierwohl. Sie wirkt sich weiterhin nachhaltig auf den Gesundheits-, Arbeits- und Klimaschutz sowie auf die Wertschöpfungskette aus, …“ Wie dieser Zwang zur Ausrichtung auf die Verbrauchererwartungen allerdings erfolgen soll, bleibt offen. Es ist zu vermuten, dass die Erzeugergemeinschaften entsprechende Verpflichtungen zu Tierwohlinvestitionen für ihre Mitglieder vorsehen müssen.
Wenn die Mindestpreisbindung mit einem Zwang zu Tierwohlmaßnahmen verbunden ist - wie auch immer dieser Zwang erzeugt wird – müssten auch die vom Gesetzgeber gewollten Tierwohlmaßnahmen oder Tierhaltungskriterien festgelegt werden und ein Kontrollsystem darüber wachen, dass diese wie vorgesehen umgesetzt werden. Ansonsten wird das Gesetz sein Tierwohlziel nicht erreichen können.
Ob sich ein Mindestpreis, der über dem ohne diese Regelung sich ergebenden Marktpreis liegt, überhaupt im Markt durchsetzen kann, hängt nach unserer Beurteilung zum einen von der Anzahl der Tierhalter (Tierbestand) ab, die der Preisbindung unterliegen. Zum anderen kann das vorgesehene Modell nur funktionieren, wenn das Fleisch zu entsprechend höheren Preisen verkauft werden kann, so dass die Spanne für die Schlachtunternehmen und Fleischvermarkter zumindest unberührt bleibt. D.h. die inländischen Geschäftskunden dürften nicht auf günstigere Ware aus den EU-Partnerländern ausweichen und das deutsche Fleisch müsste mit den erhöhten Preisen im Ausland noch wettbewerbsfähig bleiben. Beides erscheint unrealistisch.
In dem Entwurfstext deutet sich an, dass die Verfasser mit der Idee der Mindestpreisbindung weitere marktlenkende Maßnahmen verbinden, die sich nach ihren Vorstellungen automatisch ergeben würden: „… wird eine Preissetzung einhergehend mit der erforderlichen Bündelung, Steuerung und Weiterentwicklung des Angebots sich positiv auf die Erlössituation der Erzeugerinnen und Erzeuger auswirken.“ - also Mengensteuerung und Vorgaben für die Tierhaltung.
Trotz dieser marktfernen Vorstellungen vertritt die Landesregierung die Auffassung, dass ihr Modell der Mindestpreisbindung wesentlich besser geeignet ist, die Nutztierhaltung tierfreundlicher zu gestalten und den Tierhaltern ein angemessenes Einkommen zu ermöglichen, als der sogenannte Borchert-Plan. Dies wird in der Begründung des Gesetzentwurfs besonders deutlich, indem eine Fleischsteuer oder eine Sonderabgabe zur Finanzierung von Tierwohl in der Nutztierhaltung wortreich abgelehnt wird. Somit muss der Vorstoß aus Baden-Württemberg als Gegenvorschlag zum Borchert-Plan gewertet werden. Auf eine zeitnahe Umsetzung des Borchert-Konzepts drängen allerdings aktuell die Bundesländer Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein.
Ein quasi Mindestpreissystem für Schweine und Geflügel, die mit festgelegten Tierwohlkriterien erzeugt und streng kontrolliert werden, geht mit der Initiative Tierwohl 3.0 gerade an den Start. Die organisatorischen Voraussetzungen und das Kontroll- und Sanktionssystem der ITW sind seit sechs Jahren erprobt und funktionieren. Ein weiterer Vorteil zum baden-württembergischen Vorschlag ist, dass alle Produktionsstufen vertraglich gebunden werden und sich die großen Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels in der ITW verpflichtet haben, ihren Fleischbedarf mit „ITW-Fleisch“ (soweit verfügbar) zu decken und dafür einen entsprechend höheren Preis zu zahlen. Mit ITW 3.0 und einem festen Tierwohlaufschlag für ITW-Tiere wird somit ein Sog für Schlachttiere aus definierten Tierwohlhaltungen erzeugt.